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   Zurück in die Zukunft  
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Über Vinyl-Renaissance, Erbe und Kulturgut

Wenn Sie diese Zeilen lesen, gehören Sie vermutlich dazu - zur Gemeinde der Analog-Fans, der High-End-Freaks oder Schlimmerem.
Und damit geht es Ihnen – zumindest im Hinblick auf Ihre Leidenschaft – verdammt gut, denn wir Alten erleben gerade eine nie dagewesene Renaissance der analogen Hochzeit der 70er und 80er Jahre.

Das Angebot an Plattenspielern, Tonabnehmern und mehr oder weniger sinnvollem Zubehör lässt keine Wünsche offen. Die Anzahl der Neuentwicklungen ist überwältigend. Keine der bekannten Fachzeitschriften kommt am analogen Trend vorbei, und wir können uns bei den vielen lokalen „HiFi“-Messen nicht satt sehen an feinmechanischen Wunderwerken aus Acryl, Stahl und POM.

Das absolute High-Light jedoch sind die Pressungen. Das, was 1980 bereits möglich war, jedoch bis auf Ausnahmen den Rotstiften des Massenkonsums zum Opfer fiel, ist heute, so scheint es, selbstverständlich: 180 Gramm schweres Vinyl, platt wie eine Flunder, so dass der Tonarm ohne Höhenschläge zu schweben scheint und Abmischungen, die selbst dem hartgesottenen Musikliebhaber die Tränen in die Augen treiben.

Und so kaufen wir heute das eine oder andere Lieblingswerk zum dritten oder vierten Mal. Zuerst, vor 30 Jahren, erstanden wir die pressfrische aber oft  „wellige“ LP, dann später folgte der „Aufstieg“ zur CD, der eine oder andere fügte noch eine SACD oder eine Audio-DVD hinzu und nun – der ultimative Gipfel der Konservierung - nun kaufen wir Pink Floyd‘s Dark Side of the Moon als HQ-LP.

Doch ist unsere Insel der Glückseligkeit akut bedroht:

Und dieses Mal sind wir es selbst, die es den kleinen mutigen Anbietern, Manufakturen und Ein-Mann-Unternehmen das Leben schwer machen. Wir sterben aus. Wir High-End-Dinosaurier haben eine begrenzte Halbwertzeit und versäumen es in den meisten Fällen, unsere Leidenschaft und Überzeugung an die nachkommende Generation weiterzugeben. Auf einmal wir der skurrile Spaß an High-End-Kram zur ernsthaften Sache, denn es handelt sich tatsächlich um ein bewahrenswertes Kulturgut mit einzigartigen Eigenschaften.

„Wir müssen was tun. Sonst geht’s vor die Hunde.“ schreibt Holger Barske im Editorial der LP 3/2014 und „Dr. music“ Jörg Kessler (ars! music) meint: „Wir säen, geerntet wird woanders!“ und spielt damit auf die steigenden Umsatzzahlen an LPs bei den bekannten Internetversender an, die auch Staubsaugerbeutel und Hundefutter vertreiben, und oft die Beratungsfrüchte der kleinen aber um so engagierteren Old-Freaks ernten. Günther Damde (Art of Sound) schrieb mir: „Die Hornfans bzw. Selbstbauer scheinen allmählich auszusterben“.

Wenn wir also der Jugend nicht zeigen, dass das Selberbauen eines Lautsprechers weniger mit Geiz, als mit nachhaltiger Lebenserfahrung zu tun hat, wenn wir unsere Kinder und Enkel nicht miterleben lassen, dass das Abspielen einer Schallplatte mehr bedeutet als die Wiedergabe von konservierter Musik und wenn wir nicht aufhören, das Prinzip der Kostenminimierung auf alle Ebenen des Lebens anzuwenden, dann geht’s vor die Hunde, das gerade neu entdeckte High-End-Paradies.

 
n Abgedruckt:
    ars! Das Magazin 2004-02
   
 
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